Zwangsversteigerung verärgert Bewohner
Ein Miethaus in Kreuzberg wurde in einer öffentlichen Aktion zwangsversteigert. Die Bewohner fürchten neue hohe Mieten. Der Bezirk prüft jetzt die Option des Vorkaufsrecht. Von Corinna Bodisco
In Kreuzberg wurde am Mittwoch ein Mietshaus in einer öffentlichen Auktion im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg zwangsversteigert. Das Mindestgebot war auf einen Verkehrswert von fünf Millionen Euro angesetzt. Es handelt sich um ein Gründerzeithaus-Ensemble (Vorder- und Hinterhaus plus Seitenflügel) mit insgesamt 27 Wohnungen. Betroffen sind auch drei Gewerbe, darunter die schon einmal aus dem Bergmannkiez verdrängte „Espresso Lounge“ und das Kneipen-Urgestein „Destille“. Das Haus gehörte noch zu einem Drittel einer Erbengemeinschaft, Teileigentümer seit 2014 waren die Salesground Invest GmbH und die K&M Conceptwert AG. Vor dem Versteigerungstermin protestierten die Mieter vor dem Gerichtsgebäude gegen Spekulation. Anfangs verlief die Auktion verhalten, nach dem Einstiegsgebot des antragsstellenden Teileigentümers (vier Millionen Euro) herrschte Stille im Saal. Doch zum Ende boten sich zwei Bieter hoch und trafen Absprachen vor der Saaltür, ein Vorgehen, das eigentlich nicht erwünscht ist, aber eine weitere Preistreiberei verhindern soll. Eine anonyme Gesellschaft erhielt den Zuschlag für das Meistgebot von 7,1 Millionen Euro. Dieser Preis gilt gleichzeitig als neuer Verkehrswert.
„Unser Wunsch ist, zu fairen Konditionen hier wohnen bleiben zu können“, erzählt ein Mieter (der lieber anonym bleiben möchte) dem Tagesspiegel in der Espresso Lounge. Die Mieter seien nicht gegen jegliche Veränderung, doch sollen sie sinnvoll und sozial verträglich sein. Wenn zwischen dem Eigentümer und den Mietern nur eine kalte Zahlenbeziehung stehe, „fühlt man sich ein bisschen wie Schlachtvieh“. Die Mieter befürchten Sanierungsmaßnahmen mit Kostenumlage auf die Mieten oder eine Entmietungsstrategie. Anders war das bei einer der Erbinnen, die auch im Haus wohnte: „Der Baum im Innenhof wurde von ihrer Mutter gepflanzt, da war der familiäre Bezug einfach da“, sagt der Mieter. Die Erbin habe ein Interesse am Leben im Haus gehabt und nicht nur an den Zahlen.
Mieter kämpfen für ihr Haus
Der Mieter kennt sich in Mietpolitik „notgedrungen gut aus“. Schon vor sechs Jahren war er in der Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg“ aktiv und taucht nun erneut in die Materie ein: „Man muss sich damit beschäftigen, sonst kann man nicht mitreden“. Seit Anordnung der Zwangsversteigerung haben sich die Mieter organisiert und mit Akteuren der Bezirkspolitik vernetzt. „Wir sind im Gespräch mit allen, die irgendwie Einfluss nehmen könnten“. Schon in der Bezirksverordnetenversammlung Ende Februar baten die Mieter in ihrer Resolution erfolgreich um Unterstützung von Bezirk und Senat. Mitte März schickten sie einen offenen Brief an Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) und Senatorin Katrin Lompscher (Linke), worin eine Vorbereitung künftiger Klagen in Form einer Musterklage gefordert wird. Dafür engagiert sich auch Schmidt.
Der Bezirk prüft jetzt die Option des Vorkaufsrechts, da der Kaufpreis des Hauses mehr als 40 Prozent über dem Verkehrswert liegt. Der Fall erinnert an die Eisenbahnstraße 2-3, die im Dezember für 7,16 Millionen Euro versteigert wurde, aber nicht aus Zwang. Auch hier blieb die Identität des Käufers zuerst unklar. Trotz des ähnlichen Preises hat der Mehringdamm 67 im Vergleich zur Eisenbahnstraße weniger Fläche.
Aktuell ist noch unklar, ob das Vorkaufsrecht auch bei einer Zwangsversteigerung rechtlich umsetzbar ist. Dies wird nun geprüft: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Mieter im Nachhinein geschützt werden“, sagt Julian Schwarze (Grüne) nach der Versteigerung. Bei der Eisenbahnstraße und der Zossener Straße 48 ereignete sich noch viel im Nachhinein: Der erste Standort wurde von einem privaten Eigentümer gekauft, der die Anwendungsvereinbarung mit Zielen der sozialen Stadtentwicklung bereitwillig unterschrieb. In der Zossener Straße schlossen die Mieter eine Kooperation mit einer gemeinnützigen Stiftung und erwarben so das Haus, Eigentümer ist aber die Stiftung. Am Mehringdamm ist das ernste Spiel also noch nicht aus.