Pressemitteilung der Mieter*innen des Mehringdamm 67

 

Das Haus am Mehringdamm 67 wird am 21. März 2018 zur Aufhebung der Eigentümergemeinschaft zwangsversteigert. Falls der Termin bestehen bleibt, ist zu befürchten, dass das Haus zu einem weiteren Spekulationsobjekt des Finanzkapitals in Berlin wird und damit drastische Mieterhöhungen und Verdrängung der bisherigen Mieterinnen und Mieter äußerst wahrscheinlich sind.

Wir fordern den Bezirk und den Senat auf, sich aktiv dafür einzusetzen, dass dieser bezahlbare Wohnraum dauerhaft bestehen bleibt und dadurch die bisherige Mieterstruktur im Haus und Kiez zu erhalten.

Durch z.B. Verhandlungen mit den derzeitigen Eigentümern über den Direktverkauf an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft oder Erwerb des Hauses durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ggf. in der Zwangsversteigerung (ZV).

Das Haus mit Baujahr um 1889 besteht aus 27 Wohn- und drei Gewerbeeinheiten, u.a. die Traditionsgaststätte „Destille Kreuzberg“, die es schon seit über 100 Jahren gibt.

Hier wohnen und leben Handwerker*innen, Angestellte, IT'ler*innen, Schüler*innen, Umschüler*innen, Kulturschaffende, wissenschaftliche Angestellte, Rentner*innen, Transferleistungsbeziehr*innen, Ingenieur*innen, Schwerbehinderte und Nicht-Schwerbehinderte; eine der Kreuzberger Mischungen (bzw. eine der Berliner Mischungen) mit Wurzeln in verschiedenen Ländern, u.a. Deutschland.

Jahrzehnte lang gehörte das Haus Mehringdamm 67 einer Erbengemeinschaft und wurde sozial verträglich vermietet. Die Mieten entsprechen bisher dem Mietspiegel. Dann waren einigen Erben der Erben die 40.000 € Jahreseinkunft (Quelle: Verkehrswertgutachten) anscheinend nicht genug für ihr Drittel am Haus, so dass zwei Parteien ihren Anteil an Immobilienfirmen verkauften. Eine dieser Immobilienfirmen wollte die Gemeinschaft am Besitz auflösen und hat nun eine Zwangsversteigerung zur Auflösung der Eigentümergemeinschaft erreicht.

Die Zwangsversteigerung findet statt am 21.03.18, 10:00 Uhr, Gerichtsgebäude Berlin-Kreuzberg, Möckernstraße 130, Saal I/144 (Aktenzeichen: 30 K 32/17). Der Verkehrswert wurde im Verkehrswertgutachten auf 5 Millionen € festgelegt. Dies ist dann auch das Mindestgebot in der Versteigerung.

Wie berechnet sich nun so ein Verkehrswert?

Hier wurde der Ertragswert zugrunde gelegt: aus dem Grundstückspreis (2,7 Mio. €) wurden bestimmte Faktoren zur Renditeerzielung angenommen (gesetzliche Vorgaben). Hinzu wurden die Mieteinnahmen für die Restlaufzeit des Hause (35 Jahre) herangezogen. Der Instandhaltungsrückstau, z.B. für Dachreparaturen, wurde vom Gutachter auf 1 Mio. € geschätzt und bei der Berechnung des Ertragswerts durch die Verringerung der Restlaufzeit um 10 Jahre berücksichtigt. Ja, richtig gelesen - so ist die Logik der Berechnung des Verkehrswerts.

Zusammenfassend: aus dem vermeintlichen und spekulativen (denn es beschreibt ja eine Erwartung in der Zukunft) Erlös des Hauses und Grundstücks für die nächsten 35 Jahre (bzw. 25 Jahre) wurde der Wert bestimmt, für den es mindestens verkauft werden soll.

Jeder Investor will aber mehr Kapital aus seiner Investion machen.

Dabei haben die Investoren i.d.R. kurzfristige finanzielle Interessen und kalkulieren für ihre Gewinne/Renditen meist nicht über 35 Jahre. Um die Rendite zu erhöhen haben die Immobilienfirmen diverse Strategien entwickelt - alles im Rahmen des gesetzlich erlaubten: aggressive Entmietungsstrategien, Umwandlung in Eigentumswohnungen, Modernisierungen, energetische Sanierung, Weiterverkauf etc. etc. etc.

Das Gutachten formuliert es nach der heutigen Logik der Finanzinvestoren so: "Das Gebäude wurde als Mietzinshaus in vergleichsweise einfachster Bauart errichtet." und: "Für Renditeobjekte, wie dem hier zu bewertenden Wohn- und Geschäftshaus, spielt der Sachwert keine Rolle, denn für den Käufer eines Renditeobjektes sind die Bauskosten nicht von Bedeutung, da die damit verbundene Renditeerwartung der Maßstab für die Kaufentscheidung ist, sodass in diesem Fall der Ertragswert ermittelt wird."

Über die Motivation der Erbauer 1889 kann nur spekuliert werden. Aber es wäre auch folgendes möglich:

dass sie neben der Rendite auch preisgünstigen Wohnraum bereitstellen wollten. Deshalb die "vergleichsweise einfachste Bauart": nicht um die Rendite zu maximieren, sondern um die Mieten preisgünstig zu halten.

Dafür spricht auch das aktuelle Mietniveau: es entspricht dem Mietspiegel.

Und eine Geschichte aus den 1980ern: damals bekam ein junger Handwerker, der gerade nach Berlin gezogen und arbeitslos war, einen Mietvertrag.

Warum modernisieren Immobilienfirmen so gerne?

Die Gebäudeeigentümer*innen dürfen nach der aktuellen Gesetzeslage 11% der Modernisierungskosten (Modernisierungsumlage) jährlich auf die Miete umlegen, und zwar bis in alle Ewigkeit.

Und beispielsweise nicht: bis die Kosten amortisiert sind und dann erfolgt eine Berechnung der Miete über die Wohnwertsteigerung per Mietspiegel.

Nein: die Gesetzeslage ist so, dass sie die Miete für immer um diese 11% erhöhen dürfen. Und zur Absicherung der finanziellen Interessen der Immobillienfirmen dürfen sie auch noch wegen der Wohnwertsteigerung die Miete dem Mietspiegel entsprechend erhöhen.

Zusammenfassend:

Die Immobilienfirmen bekommen für das Kapital, dass sie in die Modernisierung anlegen, eine Rendite von 11%!

So eine Rendite gibt es nicht einmal zu Hochzinszeiten.

Die finanziellen Interessen und insbesondere auch Möglichkeiten der Mieter*innen werden dabei überhaupt nicht berücksichtigt.

Um die Bevölkerungstruktur, die Kreuzberger Mischung oder die Berliner Mischung, in den Innestadtbezirken zu erhalten, ist der Kampf um jedes einzelne Haus wichtig.

Denn jeder Verkauf erhöht die Verkehrswerte der anderen Häuser. Jeder Verkauf an Immobilieninvestoren löst Mieterhöhungen aus und wirkt sich damit steigernd auf den Mietspiegel und damit alle anderen Mieten aus.

 

Darum fordern wir:

Rücknahme des Antrags auf Zwangsversteigerung durch das antragstellende Unternehmen!

Aufnahme von Verhandlungen des Bezirks/Senats, einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft (Gewobag, WBM, Degewo, etc.) mit den bisherigen Teileigentümern unter Einbeziehung der Mieterinnen und Mieter um eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung zu finden!

Ggf. auch durch Erwerb durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft in der Zwangsversteigerung!

 

Wir wollen hier wohnen bleiben können!

 

Link zur Zwangsversteigerungsankündigung:

http://www.zvg-online.net/Berlin/zwangsversteigerung_Berlin_Kreuzberg.php?tnr=15141483600000

Kurios: Das in den Anlagen verlinkte Verkehrswertgutachten ist eigenartigerweise (!) derzeit (Zugriff am 23.02.2018) nicht mehr abrufbar ("Der Anhang ist nicht mehr vorhanden").

 

Die Pressemitteilung als PDF gibt es hier zum download