Wohnungskrise Was kostet die Hauptstadt?

von Ulrich Paul

Berlin -Makler freuen sich, Mieter fürchten steigende Wohnkosten und Verdrängung: Immobilien in Berlin locken Anleger aus dem In- und Ausland an. Weil diese jedoch fast jeden Preis zahlen, werden günstige Wohnungen knapp. Tausende Mieter wollen am Sonnabend dagegen demonstrieren.

Die Berliner Zeitung hat den Stadtsoziologen und Ex-Staatssekretär Andrej Holm sowie Vertreter der Immobilienwirtschaft zur Lage auf dem Wohnungsmarkt befragt: Weiter können die Lösungsvorschläge für die Wohnungskrise nicht auseinanderliegen. Die einen fordern schärfere Gesetze und ein Eingreifen des Staates, die anderen lehnen beides kategorisch ab.

„Wer zu völlig überhöhten Preisen in der Innenstadt oder außerhalb des Innenstadtrings ein Mietshaus erwirbt, der erwartet, dass diese Investition einen Gewinn abwirft“, sagt Holm. Diese Preise seien mit den normalen Mieterhöhungen in bestehenden Verträgen aber kaum zu finanzieren. Die Käufer würden deswegen darauf setzen, die alten Mieter zu verdrängen, um die Mieten beim Abschluss neuer Verträge kräftig zu erhöhen. Oder einzelne Wohnungen gleich zu verkaufen.


Staat oder Markt?

In Milieuschutzgebieten müssten die Bezirke noch stärker von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht Gebrauch machen, fordert Holm. Dabei sollten sie die Immobilien aber möglichst zum limitierten Verkehrswert erwerben, „nicht zu übertriebenen Marktpreisen“. Außerdem müsse „der massiven Spekulation mit Grundstücken Einhalt geboten werden“, sagt Holm. „Es ist schlichtweg eine Fehlfunktion des Marktes, wenn ein Grundstück einfach durch Abwarten von einem Jahr seinen Wert erhöht oder sogar verdoppelt.“

Solche „leistungslosen Ertragssteigerungen“ müssten stark eingeschränkt und besteuert werden, sagt der Soziologe. „Wünschenswert wäre eine Verwertungsbremse, also eine Preiskappung der Grundstücke in bestimmten Teilbereichen der Städte“, so Holm, der im Begleitkreis von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) für den neuen Stadtentwicklungsplan Wohnen ehrenamtlich mitarbeitet. Eine solche Preisbremse gebe es in anderen Ländern, etwa in Österreich.

Es wird gebaut - aber teure Wohnungen

Dirk Wohltorf, Vorstandsvorsitzender des Immobilienverbandes Deutschland (IVD), lehnt schärfere Gesetze dagegen ab. „Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Nicht Verbote und Beschränkungen“, sagt er. „Es muss gebaut, gebaut und gebaut werden. Nur dann entspannt sich der Markt.“

Das Problem: Im Neubau entstehen bisher überwiegend teure Wohnungen. Das sehen sogar manche in der Branche so. „Die Immobilienwirtschaft arbeitet am Bedarf der Bevölkerung vorbei, weil sie vor allem kaufkraftstarke Mandanten bedient“, sagt Christoph Gröner, Chef der CG Gruppe, die mehrere hundert Wohnungen pro Jahr errichtet. „Wir wissen aus Studien, dass in Deutschland etwa 15 Prozent der Menschen Mieten von mehr als zehn Euro je Quadratmeter bezahlen können“, sagt Gröner. „In den vergangenen Jahren richtete sich die Produktion von Wohnungen überwiegend auf Menschen aus, die zwölf, 16 oder 20 Euro, in München auch 25 Euro Miete pro Quadratmeter bezahlen können.“

Das seien Preise, die sich weder ein Polizeibeamter noch eine Krankenschwester leisten könnten. „Auf die Autoindustrie übertragen würde dieses Missverhältnis bedeuten, dass überwiegend Oberklassefahrzeuge produziert werden, obwohl die Masse der Kunden eher ein Fahrzeug der Golfklasse braucht“, sagt Gröner.


Günstige Wohnungen fehlen

Holm hat in einer Studie mit anderen Forschern ermittelt, dass in Berlin rund 310.000 Wohnungen für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen fehlen. „Die Wohnungen müssten überwiegend um die fünf Euro je Quadratmeter kosten“, sagt Holm. „Den größten Mangel gibt es bei kleinen Wohnungen für Ein-Personen-Haushalte.“

Durch den Bau preisgünstiger Wohnungen müsse für Entlastung gesorgt werden, fordert Holm. Dabei müsse sich Berlin aber „eingestehen, dass der jetzige soziale Wohnungsbau mit Mieten von 6,50 Euro je Quadratmeter für die Gruppe, die am stärksten von der Wohnungsnot betroffen ist, schon zu teuer“ sei. „Da muss man entweder die Mieten absenken oder mit Mietzuschüssen nachsteuern.“


Stichwort Milleuschutz, Stichwort Vorkaufsrecht

Besonders fatal: Sozialwohnungen haben nur eine Bindung auf Zeit. Das heißt, nach einer bestimmten Frist gelten sie als Wohnungen des freien Marktes. Um die Unterkünfte dauerhaft als Sozialwohnungen zu behalten, empfiehlt Holm die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit. Diese müsste auf Bundesebene eingeführt werden.

Senatorin Lompscher verweist darauf, dass Rot-Rot-Grün die Mieter unterstützt. „Was wir tun können, Stichwort Milieuschutz, Stichwort Vorkaufsrecht, das tun wir“, sagt sie. „Nicht zuletzt wird die Fristverkürzung von Bauvorbescheiden und Baugenehmigungen dazu beitragen, die Bodenspekulation einzudämmen.“ In den vergangenen zwei Jahren wurde der Bau von rund 50.000 Wohnungen genehmigt, doch viele werden gar nicht errichtet – offenbar, weil den Eigentümern die Bodenwertsteigerung nach einem Weiterverkauf als Gewinn ausreicht.


– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29997006 ©2018


 

 

Mietendemo in Berlin

„Wer mit Immobilien handelt, handelt mit Menschen“

Als freie Philosophin beschäftigt sich Sandrine Woinzeck mit wichtigen Fragen des Zeitmanagements: Sie bietet Einzelberatungen bei Zeitproblemen an, erstellt mit ihren Klienten Wochenpläne und spricht über das Verlieren und Genießen von Zeit, im philosophischen Sinne.

Zurzeit muss auch die 40-jährige Philosophin ihre eigene Zeit sehr gut planen und effektiv einteilen. Denn gemeinsam mit den Bewohnern ihres Wohnhauses in Wedding bereitet Sandrine Woinzeck für den nächsten Sonnabend die wohl größte Demo gegen steigende Mieten vor, die es in Berlin gegeben hat.
Gegen Mieterhöhungen durch Modernisierungen

Unter dem Aufruf „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ stehen zurzeit die Namen von knapp 170 Berliner Initiativen, Gruppen und Verbänden. Selbstverwaltete Hausprojekte sind ebenso vertreten wie Mieter-, Sozial- und Berufsverbände.

„Es ist beeindruckend, welche Dynamik die Vorbereitung der Demonstration entwickelt hat“, teilten die Veranstalter am Freitag mit. „In den letzten Jahren haben sich immer mehr Mieterinnen und Mieter zusammengeschlossen.

Sie wehren sich gegen Mieterhöhungen durch Modernisierungen, den Verkauf ihres Hauses an einen Investor, Zwangsräumungen oder die Verdrängung des kleinen Ladens nebenan.“ Jeden Tag melden sich weitere Gruppen, die den Aufruf unterschreiben.
74 Prozent der Deutschen in Sorge

Denn die Angst vor steigenden Mieten und die Sorge, deswegen die Wohnung zu verlieren, ist größer denn je. Laut einer aktuellen Studie des Caritas-Verbandes machen sich 74 Prozent der Deutschen darüber Sorgen.

Vier von fünf Befragten (79 Prozent) sehen das Risiko, wegen steigender Mieten in Armut zu geraten. Für fast zwei Drittel, das sind 61 Prozent, der Interviewten sind immer höhere Miet- oder Kaufpreise für Wohnraum inzwischen eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Zehntausende Wohnungen fehlen

Pro Jahr fehlen in Berlin 20.000 Wohnungen, die Mieten steigen unaufhörlich, ein Ende ist nicht abzusehen. Im September vergangenen Jahres schrieben über 100 Bewohner mehrerer Wohnhäuser in einem offenen Brief über ihre Angst, die Wohnung zu verlieren. „Wir leben in dauernder Sorge, wie lange und unter welchen Bedingungen wir noch in unseren Kiezen wohnen können.“

Sandrine Woinzeck sorgt sich ebenso um ihre Wohnung. Dabei hatte sie vor 17 Jahren großes Glück, als sie als Studentin aus Frankreich, die gerade nach Berlin gezogen war, in Wedding eine freie Wohnung fand. 80 Quadratmeter, zweieinhalb Zimmer, Kohleheizung, 300 Euro Miete. „Es war nicht alles perfekt, aber sehr charmant. Ich war zufrieden“, sagt sie.

Heute lebt Sandrine Woinzeck mit ihrem Mann, einem Psychologen und Psychotherapeuten, sowie den beiden Kindern, zwei und fünf Jahre alt, immer noch der Wohnung. Die Miete änderte sich nicht. Im Haus leben Familien und Singles, Studenten, Rentner, Freiberufler und Angestellte.

Es gibt 29 Wohnungen, im Erdgeschoss befindet sich ein Gebrauchtwarenladen. In der Kiezkneipe „Morena“ kostet ein Bier zwei Euro. Morgens treffen sich türkische Männer auf den Bänken. Sandrine Woinzeck sagt, die Hausgemeinschaft verstehe sich gut.
Solidarische Miete geplant

Vor zwei Jahren änderte sich alles. Da fanden die Bewohner im Internet eine Anzeige. Das Haus wurde für 3,5 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Die Bewohner waren schockiert, und sie beschlossen, das Eckhaus selbst zu kaufen. Sie gründeten einen Verein, nannten ihn Amma 65, weil das Haus an der Ecke Amsterdamer/ Malplaquetstraße liegt.

Ihr Plan: Alle Mieter bleiben in ihren Wohnungen, alle zahlen eine solidarische Miete, die für jeden so hoch ist, dass er sie sich leisten kann. Das Haus wird selbstverwaltet und für zwei Millionen Euro behutsam saniert, das Dach ist undicht.

Das Mietshäusersyndikat hatte der Finanzierung zugestimmt, auch der Bezirk unterstützte das Wohnprojekt und wollte das Vorkaufsrecht anwenden. Aber der Eigentümer lehnte alles ab. Er verkaufte das Haus. „Jetzt haben die Bewohner existenzielle Ängste“, sagt Sandrine Woinzeck.
„Wir haben gar keine andere Wahl mehr"

Die Bewohner schreiben auf ihrer Internetseite: „Investoren bevölkern unsere geliebte Ecke. Sie wollen das Haus kaufen, sanieren und teuer weiterverkaufen. Und was ist mit uns?“

Sandrine Woinzeck hat im Internet nach anderen Wohnungen gesucht. Erfolglos.„Wenn wir hier raus müssen, werden wir in Berlin nichts Passendes und Bezahlbares mehr finden“, sagt sie und spricht jetzt lauter. „Wir haben gar keine andere Wahl mehr. Wir müssen uns jetzt engagieren. Ich will weiter in dieser Stadt leben.“

Zur Mietendemo am 14. April wird sie gemeinsam mit ihrer Hausgemeinschaft gehen. Mit den Nachbarn hat sie Transparente gemalt. „Wer mit Immobilien handelt, handelt mit Menschen“, steht darauf. Und der Satz: „Wir sind Berlin.“
Die Demo

Widersetzen – Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn,  lautet das Motto einer Großdemo  am Sonnabend, dem 14. April. Sie beginnt um 14 Uhr am Potsdamer Platz, führt durch Mitte und Kreuzberg und endet an der Goebenstraße, Ecke Potsdamer Straße.

– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29978614 ©2018

 


Heute lebt Sandrine Woinzeck mit ihrem Mann, einem Psychologen und Psychotherapeuten, sowie den beiden Kindern, zwei und fünf Jahre alt, immer noch der Wohnung. Die Miete änderte sich nicht. Im Haus leben Familien und Singles, Studenten, Rentner, Freiberufler und Angestellte.

Es gibt 29 Wohnungen, im Erdgeschoss befindet sich ein Gebrauchtwarenladen. In der Kiezkneipe „Morena“ kostet ein Bier zwei Euro. Morgens treffen sich türkische Männer auf den Bänken. Sandrine Woinzeck sagt, die Hausgemeinschaft verstehe sich gut.

Solidarische Miete geplant

Vor zwei Jahren änderte sich alles. Da fanden die Bewohner im Internet eine Anzeige. Das Haus wurde für 3,5 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Die Bewohner waren schockiert, und sie beschlossen, das Eckhaus selbst zu kaufen. Sie gründeten einen Verein, nannten ihn Amma 65, weil das Haus an der Ecke Amsterdamer/ Malplaquetstraße liegt.

Ihr Plan: Alle Mieter bleiben in ihren Wohnungen, alle zahlen eine solidarische Miete, die für jeden so hoch ist, dass er sie sich leisten kann. Das Haus wird selbstverwaltet und für zwei Millionen Euro behutsam saniert, das Dach ist undicht.

Das Mietshäusersyndikat hatte der Finanzierung zugestimmt, auch der Bezirk unterstützte das Wohnprojekt und wollte das Vorkaufsrecht anwenden. Aber der Eigentümer lehnte alles ab. Er verkaufte das Haus. „Jetzt haben die Bewohner existenzielle Ängste“, sagt Sandrine Woinzeck.

„Wir haben gar keine andere Wahl mehr"

Die Bewohner schreiben auf ihrer Internetseite: „Investoren bevölkern unsere geliebte Ecke. Sie wollen das Haus kaufen, sanieren und teuer weiterverkaufen. Und was ist mit uns?“

Sandrine Woinzeck hat im Internet nach anderen Wohnungen gesucht. Erfolglos.„Wenn wir hier raus müssen, werden wir in Berlin nichts Passendes und Bezahlbares mehr finden“, sagt sie und spricht jetzt lauter. „Wir haben gar keine andere Wahl mehr. Wir müssen uns jetzt engagieren. Ich will weiter in dieser Stadt leben.“

Zur Mietendemo am 14. April wird sie gemeinsam mit ihrer Hausgemeinschaft gehen. Mit den Nachbarn hat sie Transparente gemalt. „Wer mit Immobilien handelt, handelt mit Menschen“, steht darauf. Und der Satz: „Wir sind Berlin.“

Die Demo

Widersetzen – Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn,  lautet das Motto einer Großdemo  am Sonnabend, dem 14. April. Sie beginnt um 14 Uhr am Potsdamer Platz, führt durch Mitte und Kreuzberg und endet an der Goebenstraße, Ecke Potsdamer Straße.

– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29978614 ©2018

Heute lebt Sandrine Woinzeck mit ihrem Mann, einem Psychologen und Psychotherapeuten, sowie den beiden Kindern, zwei und fünf Jahre alt, immer noch der Wohnung. Die Miete änderte sich nicht. Im Haus leben Familien und Singles, Studenten, Rentner, Freiberufler und Angestellte.

Es gibt 29 Wohnungen, im Erdgeschoss befindet sich ein Gebrauchtwarenladen. In der Kiezkneipe „Morena“ kostet ein Bier zwei Euro. Morgens treffen sich türkische Männer auf den Bänken. Sandrine Woinzeck sagt, die Hausgemeinschaft verstehe sich gut.

Solidarische Miete geplant

Vor zwei Jahren änderte sich alles. Da fanden die Bewohner im Internet eine Anzeige. Das Haus wurde für 3,5 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Die Bewohner waren schockiert, und sie beschlossen, das Eckhaus selbst zu kaufen. Sie gründeten einen Verein, nannten ihn Amma 65, weil das Haus an der Ecke Amsterdamer/ Malplaquetstraße liegt.

Ihr Plan: Alle Mieter bleiben in ihren Wohnungen, alle zahlen eine solidarische Miete, die für jeden so hoch ist, dass er sie sich leisten kann. Das Haus wird selbstverwaltet und für zwei Millionen Euro behutsam saniert, das Dach ist undicht.

Das Mietshäusersyndikat hatte der Finanzierung zugestimmt, auch der Bezirk unterstützte das Wohnprojekt und wollte das Vorkaufsrecht anwenden. Aber der Eigentümer lehnte alles ab. Er verkaufte das Haus. „Jetzt haben die Bewohner existenzielle Ängste“, sagt Sandrine Woinzeck.

„Wir haben gar keine andere Wahl mehr"

Die Bewohner schreiben auf ihrer Internetseite: „Investoren bevölkern unsere geliebte Ecke. Sie wollen das Haus kaufen, sanieren und teuer weiterverkaufen. Und was ist mit uns?“

Sandrine Woinzeck hat im Internet nach anderen Wohnungen gesucht. Erfolglos.„Wenn wir hier raus müssen, werden wir in Berlin nichts Passendes und Bezahlbares mehr finden“, sagt sie und spricht jetzt lauter. „Wir haben gar keine andere Wahl mehr. Wir müssen uns jetzt engagieren. Ich will weiter in dieser Stadt leben.“

Zur Mietendemo am 14. April wird sie gemeinsam mit ihrer Hausgemeinschaft gehen. Mit den Nachbarn hat sie Transparente gemalt. „Wer mit Immobilien handelt, handelt mit Menschen“, steht darauf. Und der Satz: „Wir sind Berlin.“

Die Demo

Widersetzen – Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn,  lautet das Motto einer Großdemo  am Sonnabend, dem 14. April. Sie beginnt um 14 Uhr am Potsdamer Platz, führt durch Mitte und Kreuzberg und endet an der Goebenstraße, Ecke Potsdamer Straße.

– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/29978614 ©2018

 

Ein Haus unter dem Hammer: Immobilie am Mehringdamm wurde für 7,1 Euro Millionen versteigert

Wenn Gebäude den Besitzer wechseln, bekommt das zunächst kaum jemand mit. Manchmal gibt es aber auch Einblicke in Echtzeit. Immer dann, wenn ein Objekt per Auktion angeboten wird. So am 21. März beim Haus und Grundstück Mehringdamm 67, das im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am Halleschen Ufer versteigert wurde und am Ende zu einem Preis von 7,1 Millionen Euro unter den Hammer kam.

Die Immobilie gehörte bisher zu einem Drittel einer Erbengemeinschaft, außerdem zwei weiteren Gesellschaften. In dem Gebäude befinden sich 27 Wohnungen sowie drei Gewerbeeinheiten. Ein Gewerbemieter ist die Traditionskneipe "Destille", ein anderer die "Espresso Lounge". Letztere war erst vor zwei Jahren aus der Bergmannstraße verdrängt worden und hatte sich neu am Mehringdamm angesiedelt.

Die Bewohner waren beim Termin im Amtsgericht stark vertreten und machten vor Beginn auch mit einer Demonstration auf sich aufmerksam. Bisher seien die Mieten noch einigermaßen erschwinglich, schon wegen des nicht gerade üppigen Komforts in manchen Wohnungen, erzählte ein Mann. Er habe zum Beispiel eine Ofenheizung. Auch Aktivisten, Interessierte und Medienvertreter füllten den Saal 144 im Amtsgericht. Insgesamt rund 80 Personen. Sitzplätze gab es nur für etwa 50.

Eine gewisse Spannung, was passieren wird, ob überhaupt etwas passieren wird, lag im Raum. Denn im Vorfeld hatte der Bezirk versucht, eine Art Abwehrszenario aufzubauen. Beim Mehringdamm 67 werde ebenfalls das Ausüben des Vorkaufsrechts geprüft, hieß es in einer Mitteilung von Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) einen Tag vor der Auktion. Das könne durch eine Abwendungsvereinbarung verhindert werden, wenn die Käufer auf bestimmte bauliche Veränderungen verzichten. Grundlage für beide Interventionsmöglichkeiten ist der Milieuschutzstatus, in diesem Fall für das Gebiet Bergmannstraße-Nord. Dazu verwies der Stadtrat auf den Fall des Immobilienensembles Eisenbahnstraße 2-3, Muskauer Straße 10. Es war im Dezember 2017 für 7,16 Millionen ersteigert worden. Auch in dem Fall zog der Bezirk das Vorkaufsrecht und hatte, wie berichtet, inzwischen das Glück, dass ein privater Geldgeber einstieg, diese Summe bezahlt und sich trotzdem an die Vorgaben des Milieuschutzes halten will.

Aber nicht immer ist sicher gestellt, dass es solche Gönner gibt. Deshalb will der Bezirk jetzt in einem Musterverfahren juristisch klären lassen, ob beim Vorkaufsrecht wirklich die teilweise hohen Summen nach Versteigerungen der Maßstab sind oder der Verkehrswert. Auch das wäre eine weitere Strategie, um Interessierte von allzu großer Preistreiberei abzuhalten.

Aber war das bei denen angekommen? Zunächst hatte es fast den Eindruck. Nachdem die Auktionsleiterin die Veranstaltung um 10 Uhr eröffnet und zunächst auf einige allgemeine Regularien hingewiesen hatte, erwartete sie ab 10.05 Uhr die ersten Gebote. Dafür war zunächst eine Mindestzeit von 30 Minuten angesetzt. Der Verkehrswert lag bei fünf Millionen Euro.

Lange passierte nichts. Dabei waren einige potenzielle Käufer unschwer auszumachen. Etwa drei Herren, die aber nur einmal mit einer Ansage über 5,650 Millionen in das Geschehen eingriffen. Da hatte die Auktion nach etwa 20 Minuten so langsam Fahrt aufgenommen. Sie wurde ansonsten allein von zwei Bietern bestritten. Einem namentlich genannten Mann, der auch den Aufschlag machte, sowie mehreren Personen, die immer nur als "GbR" betitelt wurden. Zwischen diesen entwickelte sich der Versteigerungswettstreit, der sich unter anderem über die Zwischensummen 5,9, 6,1, 6,25, 6,4, 6,5 Millionen nach oben bewegte. Während sie sich gegenseitig in die Höhe jazzten, suchten die Kontrahenten auch kurze Gesprächskontakte. Was im Saal eigentlich nicht zulässig ist und deshalb das Missfallen der leitenden Amtsperson hervorrief. "Wenn Sie etwas zu besprechen haben, gehen Sie bitte raus." Das passierte dann auch kurz darauf. Mit dem Ergebnis, dass der einzelne Mitbieter beim Stand von 7,1 Millionen die Segel strich und die "GbR" den Zuschlag bekam.

Hinter ihr sollen nach Angaben der Bewohnerinitiative Samuel Czarny und Ariel Schiff stehen. Sie sollen, ebenfalls nach diesen Informationen, auch Verbindungen zur Holding des Investors Nicolas Berggruen haben. Und angeblich gebe es noch einen dritten, anonymen Gesellschafter.

Die gebotenen Summe bewegte sich in ähnlicher Größenordnung wie die vor gut drei Monaten für die Immobilie an der Eisenbahnstraße. Mit dem Unterschied, dass die dortige Fläche etwa doppelt so groß ist wie am Mehringdamm. Was zu der Befürchtung führt, er lasse sich nur durch höhere Mieteinnahmen beziehungsweise dem Umwandeln in Eigentumswohnungen refinanzieren.

Autor: Thomas Frey

Quelle: Berliner Woche


 

 

Zwangsversteigerung verärgert Bewohner

Ein Miethaus in Kreuzberg wurde in einer öffentlichen Aktion zwangsversteigert. Die Bewohner fürchten neue hohe Mieten. Der Bezirk prüft jetzt die Option des Vorkaufsrecht. Von Corinna Bodisco

In Kreuzberg wurde am Mittwoch ein Mietshaus in einer öffentlichen Auktion im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg zwangsversteigert. Das Mindestgebot war auf einen Verkehrswert von fünf Millionen Euro angesetzt. Es handelt sich um ein Gründerzeithaus-Ensemble (Vorder- und Hinterhaus plus Seitenflügel) mit insgesamt 27 Wohnungen. Betroffen sind auch drei Gewerbe, darunter die schon einmal aus dem Bergmannkiez verdrängte „Espresso Lounge“ und das Kneipen-Urgestein „Destille“. Das Haus gehörte noch zu einem Drittel einer Erbengemeinschaft, Teileigentümer seit 2014 waren die Salesground Invest GmbH und die K&M Conceptwert AG. Vor dem Versteigerungstermin protestierten die Mieter vor dem Gerichtsgebäude gegen Spekulation. Anfangs verlief die Auktion verhalten, nach dem Einstiegsgebot des antragsstellenden Teileigentümers (vier Millionen Euro) herrschte Stille im Saal. Doch zum Ende boten sich zwei Bieter hoch und trafen Absprachen vor der Saaltür, ein Vorgehen, das eigentlich nicht erwünscht ist, aber eine weitere Preistreiberei verhindern soll. Eine anonyme Gesellschaft erhielt den Zuschlag für das Meistgebot von 7,1 Millionen Euro. Dieser Preis gilt gleichzeitig als neuer Verkehrswert.

„Unser Wunsch ist, zu fairen Konditionen hier wohnen bleiben zu können“, erzählt ein Mieter (der lieber anonym bleiben möchte) dem Tagesspiegel in der Espresso Lounge. Die Mieter seien nicht gegen jegliche Veränderung, doch sollen sie sinnvoll und sozial verträglich sein. Wenn zwischen dem Eigentümer und den Mietern nur eine kalte Zahlenbeziehung stehe, „fühlt man sich ein bisschen wie Schlachtvieh“. Die Mieter befürchten Sanierungsmaßnahmen mit Kostenumlage auf die Mieten oder eine Entmietungsstrategie. Anders war das bei einer der Erbinnen, die auch im Haus wohnte: „Der Baum im Innenhof wurde von ihrer Mutter gepflanzt, da war der familiäre Bezug einfach da“, sagt der Mieter. Die Erbin habe ein Interesse am Leben im Haus gehabt und nicht nur an den Zahlen.

Mieter kämpfen für ihr Haus

Der Mieter kennt sich in Mietpolitik „notgedrungen gut aus“. Schon vor sechs Jahren war er in der Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg“ aktiv und taucht nun erneut in die Materie ein: „Man muss sich damit beschäftigen, sonst kann man nicht mitreden“. Seit Anordnung der Zwangsversteigerung haben sich die Mieter organisiert und mit Akteuren der Bezirkspolitik vernetzt. „Wir sind im Gespräch mit allen, die irgendwie Einfluss nehmen könnten“. Schon in der Bezirksverordnetenversammlung Ende Februar baten die Mieter in ihrer Resolution erfolgreich um Unterstützung von Bezirk und Senat. Mitte März schickten sie einen offenen Brief an Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) und Senatorin Katrin Lompscher (Linke), worin eine Vorbereitung künftiger Klagen in Form einer Musterklage gefordert wird. Dafür engagiert sich auch Schmidt.

Der Bezirk prüft jetzt die Option des Vorkaufsrechts, da der Kaufpreis des Hauses mehr als 40 Prozent über dem Verkehrswert liegt. Der Fall erinnert an die Eisenbahnstraße 2-3, die im Dezember für 7,16 Millionen Euro versteigert wurde, aber nicht aus Zwang. Auch hier blieb die Identität des Käufers zuerst unklar. Trotz des ähnlichen Preises hat der Mehringdamm 67 im Vergleich zur Eisenbahnstraße weniger Fläche.

Aktuell ist noch unklar, ob das Vorkaufsrecht auch bei einer Zwangsversteigerung rechtlich umsetzbar ist. Dies wird nun geprüft: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Mieter im Nachhinein geschützt werden“, sagt Julian Schwarze (Grüne) nach der Versteigerung. Bei der Eisenbahnstraße und der Zossener Straße 48 ereignete sich noch viel im Nachhinein: Der erste Standort wurde von einem privaten Eigentümer gekauft, der die Anwendungsvereinbarung mit Zielen der sozialen Stadtentwicklung bereitwillig unterschrieb. In der Zossener Straße schlossen die Mieter eine Kooperation mit einer gemeinnützigen Stiftung und erwarben so das Haus, Eigentümer ist aber die Stiftung. Am Mehringdamm ist das ernste Spiel also noch nicht aus.

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-mietpolitik-zwangsversteigerung-veraergert-bewohner/21104702.html


 

 

Bezirk will Musterklageverfahren führen - Erneut Mietshaus in Kreuzberg höchstbietend versteigert

Audio: Inforadio oder als mp3 hier (ab Min. 9:45) | 21.03.2018 | Anna Corves |

Unter dem Motto "Keine Spekulation im Milieuschutz – bezahlbaren Wohnraum schützen!" protestierten Mieter am Mittwoch vor dem Amtsgericht in der Möckernstraße: Ihr Mietshaus am Mehringdamm 67 werde meistbietend versteigert, obwohl es im Erhaltungsgebiet liege. Für 7,1 Millionen Euro ging das Objekt an die Czarny und Schiff GbR.

Der Verkaufspreis liegt damit mehr als zwei Millionen Euro über dem ermittelten Verkehrswert von 5 Millionen Euro. Bislang gehörte das Haus mit 27 Wohnungen und drei Gewerbeeinheiten einer Erbengemeinschaft.

Die Mieter befürchten hohe Mietsteigerung und Verdrängung. Er wohne seit elf Jahren im Haus und habe große Angst vor dem neuen Käufer, erzählte einer der Anwesenden dem rbb: "Ich bin Renter und wenn da modernisiert wird, sehe ich meine Zukunft in Gefahr. Ich kann mir das dann nicht mehr leisten." Zurzeit zahle er warm 550 Euro für 70 Quadratmeter – ein Traum für Friedrichshain-Kreuzberg.

Bezirk prüft Vorkaufsrecht bei Zwangsversteigerung

Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, hatte bereits im Vorfeld angkündigt an, auch bei diesem Objekt das Vorkaufsrecht zu prüfen. Um Mieter zu schützen, machen die Berliner Bezirke häufiger von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch. Aber das wird immer teurer. Erst vor zehn Tagen hat Kreuzberg-Friedrichshain mithilfe eines Partners ein Eckhaus gerettet - für sieben Millionen Euro. Schon damals hatte der Bezirk überlegt, ob er das Vorkaufsrecht zum deutlich niedrigeren Verkehrswert von rund fünf Millionen Euro ausüben könne. Diese Möglichkeit ist im Baugesetzbuch vorgesehen, wenn der Kaufpreis den Verkehrswert deutlich übersteigt.

Unklar ist allerdings, ob dies auch bei einer Zwangsversteigerung gilt:  Laut Rechtsprechung gilt der dort erzielte Preis dann als der aktuelle Verkehrswert, also 7,16 Millionen Euro. Die Gefahr ist groß, dass Spekulanten die Sonderkaufoption des Vorkaufsrechts über den Preis aushebeln können, indem sie das Haus in einer öffentlichen Auktion anbieten und dabei den Preis in die Höhe treiben.

Musterklage bei Spekulationspreis

Baustadtrat Schmidt erwägt deswegen eine Musterklage, um zu klären, ob für das Vorkaufsrecht des Bezirks der Verkehrswert (5 Millionen) Grundlage ist oder das Höchstgebot gelten muss – selbst wenn es mehr als 20 Prozent über Verkehrswert liegt, also ein Spekulationspreis ist. Das ist hier der Fall.  

Sollte der neue Käufer einwilligen, Ziele des Milieuschutzes zu halten, würde das allerdings verhindern, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht geltend machen kann. Massive Mieterhöhungen plane er nicht, erklärte Gesellschafter Samuel Czarny dem rbb: "Kein Mieter muss sich Gedanken machen, wir möchten niemanden vertreiben." Die GbR sei gesprächsbereit dem Bezirk gegenüber.

Der Czarny und Schiff GbR gehört unter anderem der Gründerzeitaltbau in der Taborstraße 4 im Wrangelkiez. Nach Berichten der Berliner MieterGemeinschaft vom Februar 2017 beschwerten sich dort die rund 20 Mietparteien in einem Brief an den damaligen Bezirksstadtrat Hans Panhoff (B90/Grüne) und an das für Milieuschutz zuständige Stadtentwicklungsamt über das "aggressive Verhalten" des neuen Vermieters. Für die Mieter am Mehringdamm 67 geht die Zitterpartie wohl noch etwas weiter.

Quelle: https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2018/03/versteigerung-mietshaus-mehringdamm-bezirk-prueft-vorkaufsrecht.html